Ich sollte mich ausziehen.

Viele Notfälle, sagte die Eine.

Liegt am Vollmond, sagte die Andere.

Hektische Handgriffe, konzentrierte Frauengesichter. Sie sehnten ein Ende der Überstunden herbei.

Die Eine gab mir einen grünen Umhang, zog das Bändchen am Rücken fest. Die Andere rasierte meine Schamhaare.

Über dem Bauch ein gestärktes Laken, weiß.  So schoben sie mich in den Flur.

Die Wände starrten mich an, sprachen nicht. Ich fror.

Ich bin hier überflüssig, sagte mein Verstand und verschwand. Und ließ mich allein mit der Angst.

Nicht eine Nacht verbrachte  ich je in einem Krankenhaus. Zehn lagen vor mir. Die Stille war am schlimmsten.

Sie werden nichts spüren, hatten sie gesagt. Ich aber wollte spüren. Unbedingt dabei sein. Kämpfen, bis zur Erlösung.

Immerhin durfte ich ihr Geburtsdatum aussuchen. Der Vater war am 04.01. geboren: Quersumme Fünf.

Ich am 02.05. : Quersumme Sieben.

Die Summe unserer beider Quersummen Zwölf.  Eine gute Zahl. Am 05.07.  konnte nichts schief gehen.

Im ersten Geschoss schrie eine Frau. Sie schrie und schrie und schrie. In Wellen, als würde sie langsam von innen zerrissen.

Mich würden sie aufschneiden. Das Eine stand mit den Füßen zum Steißbein, das Andere lag über ihm quer. Zusammen bildeten sie ein T.

Eine zweite Frau schrie. Schlimmer als die Stille waren Schreie in der Stille. Stunden hörte ich sie.

Ich sah, wie ihr Muttermund sich öffnete, ihr Leib sich spaltete, wie ein Kopf versuchte, den engen Kanal zu durchwinden, Licht suchte.

Eine Heldenreise mit einem unerwünschten Gast, dem Tod. Schlüge er zu, wäre es eine Tragödie.

Die Eine und die Andere schoben mich in den Fahrstuhl. Dann in den Kreissaal. Still und kalt.

Schreie im Kopf. Die Zeit entschwand im Halbdunkel.

Die Zwei ist meine Lieblingszahl. In meinen Armen winzige lebendige Körper. Geschlossene Augen. Ruhig und zufrieden. Zwei auf einen Streich. Gesund.

Später hörte ich im Schwesternzimmer von dem Baby. Seine Eltern hatten es in den Ofen gesteckt und geschmort. 200° bis es platzte.

Ich weinte. Stunden, Tage. Stille Tränen. Sie brannten.

Meine Kinder lagen an meinem Körper. Er schien mir fremd  – verwundet, mutiert. Meine Hormone spielten verrückt.

Ich weinte. Vor Glück und vor Hilflosigkeit und vor Trauer über den grausamsten aller Tode und die ungehörten Schreie dieses Babys.

Ich weinte um alle verlorenen Kinder dieser Welt.

F+N by BMilana

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