Kurzgeschichte

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Mit kräftigen Zügen stieß sie vorwärts. Ihre Hände zerteilten das Wasser, drückten es zur Seite, die Füße paddelten gleichmäßig auf und ab. Als sie wieder auftauchte, blinzelte sie. Das Wasser brannte in den Augen, mit einer schnellen Bewegung wischte sie die Tropfen weg und dann sah sie klar: Der Bademeister stand noch immer an dem Glaskasten, die Arme über dem Bauch verschränkt. Die beiden Rentnerinnen an der Seite gegenüber klammerten sich an den Beckenrand und unterhielten sich. Ihre Badekappen wirkten wie aus dem vergangenen Jahrhundert. Nichts hatte sich in den letzten zwei Minuten verändert. Absolut nichts!

Sie suchte weiter, doch als sie ihn nicht fand, senkte sie den Blick. Als sie ihn wieder hob, sah sie, wie der Wind an den Blättern rüttelte und auf der Wasseroberfläche des Außenbeckens Wellenlinien malte. Dazwischen die Wand aus Glas, ein wenig beschlagen. Die Zeiger der großen Wanduhr schienen stehengeblieben zu sein, als hätte jemand den Atem der Welt angehalten. Dabei war es ihr eigener Atem, der stockte, um der Aufregung in ihrem Inneren Platz zu machen. Sie beschloss noch einen weiteren Saunagang zu machen. Dann würde sie gehen.

Im Dampf und dem pustenden Geräusch des Dampfspenders versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen. Komplimente hatte er ihr gemacht. Naja, so fing es immer an. Attraktiv sehe sie aus, genau im richtigen Alter, eben reif; reife Frauen wissen, was sie wollen. Und dann hatte sie ihm tatsächlich ein Bild geschickt. Auf einem Segelboot stehend, in die Weite schauend. So gefiel sie sich. Von Wasser umgeben, fern der Erde und dem Geschrei der Menschen, halbgöttisch, dort wo Ruhe herrschte, wenn nur die anderen nicht da wären. Die, die den Alltag bestimmten.

Der Dampf presste die ersten Schweißtropfen aus ihren Poren, sie verteilte den Schweiß über ihren Armen. Weich fühlte er sich an, sehr schön weich und feucht. Ihre Hände strichen über die Oberschenkel. Dann die Unterschenkel entlang. Dort fand sich wenig Schweiß. Sie umfassten den Rand der Bank. Gerundete Form und glitschig. Kühler als sie. Sie ließ die Feuchtigkeit zwischen ihren Fingern zerrinnen und starrte in die Leere, gegenüber auf die andere Bank. Vor vielen Jahren hatte sie genau dort einen Arbeitskollegen verführt. Keine Menschenseele unterwegs. Sie hatte sich vor ihn gekniet und sich dann auf ihn gesetzt. Sprachlos ließ er ihr Tun mit sich geschehen. Sie wunderte sich, was sie damals geritten, und wie sehr sie sich verändert hatte. Ihr Silikonbusen, der bewundernde Blicke auf sich zog, bot keine Rettung. Auch die schöne Unterwäsche nicht.

Heute würde sie die Beine übereinanderschlagen, ihre Gesichtsfarbe sich röten. In der Hitze würde ihm das hoffentlich nicht auffallen – wenn er denn käme. Wahrscheinlich würde sie aufstehen und gehen, nachdem die ersten Worte gefallen wären. Sie würde nach Hause fahren und abends würde sich Kurt zu ihr ins Bett legen. So wie immer. Doch nun irrlichterten die Vielleichts in einem Labyrinth der Ungewissheit. Sie hasste es zu warten und starrte in die weiße Nebelwand, die sie umhüllte. Dann ging die Glastür auf und mit ihr drang nicht nur ein Schwall kühlerer Luft herein.

Ein Mann griff den Schlauch an der Wand und spritzte die Bank ihr gegenüber ab. Das kurze schmatzende Geräusch seiner Pobacken verriet, dass er sich gesetzt hatte. Sie versuchte etwas von ihm zu erspähen, etwas, was es ihr leicht machen würde, eine Entscheidung zu treffen, doch der Dampf war mittlerweile so dicht geworden, dass sich keine Form ausmachen ließ. Was oder wen wollte sie erkennen? Bei einem blind date gab es nur die Überraschung. Sie schwieg und hörte den Atem des Mannes. Stoßweise.

Die Wärme presste das Wasser aus ihr heraus. In der Wärme dehnte sich alles. Sie mochte das, entspannte sich, rutschte ein wenig herunter, ließ Beine und Arme locker baumeln, leckte sich die Lippen. Überlegte, ob sie stöhnen sollte. So wie Meg Ryan in dem Restaurant im Film Harry und Sally. Oder wie Nicole Kidmann in Paperboy. Besser nicht. Sie würde sich nur lächerlich machen.

Mittlerweile fühlte sie sich wie geschmolzener Käse. Dazu das feine Tröpfeln von Wasser und der schwere Atem des Mannes. Gerührt und nicht geschüttelt. Und Eiswürfel, bitte.  Sie lächelte, stand auf, drehte sich zu ihm um, wollte etwas Nettes sagen. Doch einem plötzlichen Impuls folgend riss sie die Tür auf, stapfte auf die Duschen zu, und stellte den Kaltwasserstrahl an. Hart prallte er an ihr ab. Der Temperaturschock und die Druckstellen hinterließen rote Flecken auf ihrer Haut. Als sie die Augen öffnete, sah sie den Mann den Raum durchqueren. Ein grünes Handtuch in der Hand schwingend. Das Erkennungszeichen – entfernte sich.

Gleichzeitig erfasste ihr Blick eine Gruppe Männer, die dicht aneinander gedrängt im Whirlpool saßen: Ihre schwarzen Haare glänzten, ihre goldenen Uhren glitzerten, ihre Oberkörper und Arme bedeckte dichter Haarwuchs. Dunkle Augen starrten sie an. Bewegungslos. Saugten jede Pore aus ihr heraus.

Auf einmal fühlte sie sich nackter als je zuvor.

Hastig warf sie sich den Bademantel über, schnürte sich fest zu. Zwang sich erhobenen Hauptes die Wellness Oase zu verlassen. Der Blick  – in sich verloren.

Wassertropfen (piqs.de ID: e80a7220167a074a242a31f04e0e7609)

Foto: Jörg Klemme www.piqs.de

 

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