Bea Milana - Autorin

Gegenwart . Literatur . Europa

Kopfkino

Kleine Geschichte über die Auferstehung

Mitten in der Nacht kommen sie. Schleichen sich von hinten an und klopfen. Ich gewähre ihnen keinen Eintritt, schon gar nicht um diese Uhrzeit! Was machen die unerbetenen Strolche? Unterhalten sich, stellen Fragen, breiten sich aus. Klarer Fall von Kopfbesetzung. Innerhalb von Minuten entbrennt eine lebhafte Diskussion  – die Worte donnern ineinander, übereinander –, es ist die Sprachmelodie der Spanier, denen endlose Wortkaskaden wichtiger zu sein scheinen als das Zuhören.

Ich drehe Filmklappe Making ofmich um, in der Hoffnung eine abgewandte Körperbewegung würde sie verschrecken oder gar verstummen lassen. Aber nein, das wäre viel zu einfach! Die fremden Besucher kümmern sich nicht um mich, es scheint ihnen scheißegal zu sein, ob ich da bin oder nicht. Sie strafen mich mit Ignoranz und zunehmender Laustärke.

Reine Provokation, denke ich! Typisch Schauspieler! Die können mich mal! Als ich Ihnen wütend zurufe, sie sollen bitte woanders ihr Unwesen treiben,  ich müsse dringend schlafen, ist der Film in der Dunkelheit längst angelaufen. Ich kann ihn nicht stoppen, suche verzweifelt nach dem Ausschalter und weiß: Jetzt habe ich nicht die Macht, den Verlauf des Geschehens zu bestimmen, geschweige denn, ihn mit einem einfachen Klick zu beenden.

Am Anfang war es nur eine Person, die sich mir vorstellte. Francisco Rodriguez, verschrobener Einzelgänger um die fünfzig Jahre, ist der spanische Kriminalkommissar, der in das Nachbardorf seiner Geburt zurückkehrt, um dort einen Fall aufzuklären. Sein moralisches Gewissen beruht auf einer realen Figur, die mich bis heute tief beeindruckt: der spanische Richter Balthasar Garçon.

„Bea, du musst diese Geschichte schreiben“, flüsterte er mir zu. „Die Menschen im Norden wissen nicht, was Korruption im täglichen Leben bedeutet.“

Bei der zweiten Figur war ich sicher, der Tinnitus hätte mich zurückerobert, doch es war der rockige, laut-hämmernde Beat, mit dem Luis auftrat. Überrascht erblickte ich in tiefschwarzer Dunkelheit einen jungen Mann, dessen Augen mich durchbohrten. Mit forderndem Ton ließ er mich wissen, dass er mich solange stören würde, bis mir mehr zu ihm einfalle. Das musikalische Getöse im Hintergrund schwoll an. Klarer Fall von Erpressung. Er sprach aus, was ich bereits ahnte: Es sei jammerschade jemanden wie ihn nur als Story-Opener im ersten Kapitel auftauchen zu lassen. Und das ohne wörtliche Rede. Er wisse, dass der Leser mehr von ihm erfahren wolle und ich solle mir gefälligst etwas ausdenken!

Seine Hose hing in den Kniekehlen, ich fragte mich, wie sich wohl seine eckigen Hüftknochen anfühlen würden, sie stachen wie Kleiderhaken aus seinem mageren Körper heraus. Wäre ich seine Mutter, hätte ich erst einmal Ordnung in sein wildes Äußeres gebracht: die Mähne geschnitten, neue Unterhosen gekauft, ihm etwas Vitamingeladenes zu Essen gekocht.

Er war die erste Romanfigur, die mehr Auftritt verlangte, aber, wie sich später herausstellen sollte, nicht die einzige.

Woher konnte ich wissen, dass das Schreiben von Romanen mit nächtlichem Verfolgungswahn einhergeht?

In den vielen Nächten, die ich mit Luis verbrachte, lernte ich ihn kennen. Er wuchs mir trotz aller Schwächen ans Herz und erinnerte mich ein wenig an meine wilde Jugend.

Nachdem ich die ersten Kapitel – in unchronologischer Reihenfolge geschrieben – ruhen ließ, in der Hoffnung sie würden reifen wie der Rote im Barriquefass, kamen weitere Figuren dazu. Das Fass sollte gefüllt werden.

Anna und Wolfgang, brave, fleißige, junge Leute aus der Mittelschicht, sind die beiden deutschen Einwanderer, die aus einem alten baufälligen Haus eine kleines bed&breakfast Hotel machen wollen. Und das auch noch in Spanien! Hombre, ich würde den beiden davon abraten, aber was soll´s. Jeder hat das Recht auf seine eigenen Träume. Die beiden hatten ja nicht die geringste Ahnung, wie eine Gesellschaft, die jahrhundertelang von Korruption, Vetternwirtschaft und einer reformbedürftigen Gesetzgebung geprägt war, reagieren würde. Für Anna und Wolfgang waren diese Begriffe nur leere Worthülsen, die sie aus der Zeitung kannten. Was sich dahinter verbarg, mussten sie mühsam und unfreiwillig lernen.

Mateu und Joan, die beiden Mallorquiner, hundert Prozent familiär vernetzt, kennen alles, was sich außerhalb ihrer Insel befindet, aus dem Fernsehen. Sie stammen aus einer archaisch denkenden und religiös erzogenen Gemeinschaft und waren im Jahre 2000 überfordert mit all den Erneuerungen. Auf einmal kamen die vielen fremden Leute mit ihrem Geld, vor allem mit Schwarzgeld, das noch schnell angelegt werden sollte und es kam die EU. Einige machten gute Geschäfte und wurden immer wohlhabender. Jährlich wurden es mehr. Warum sollten sie anders agieren als alle anderen? Der Mensch ist ein anpassungsfähiges Wesen, er reagiert gemeinschaftlich und strebt ständig danach, seine Lebensverhältnisse zu verbessern. Die meisten kapierten schnell, was die Neuen wollten und wie man Geld mit ihnen verdienen konnte.

Da ich mein halbes Leben bei Dreharbeiten verbracht habe, begann mein Unterbewusstsein, Abteilung Visualität, die erdachten Figuren mit realen Schauspielern zu besetzen. Ich wollte ein lebendiges Gesicht vor mir haben, auch wenn ich dieses im Roman selten beschrieb. Natürlich wird das in dem Roman nicht erwähnt, sondern nur hier, in dem „Making of“. Klischee hin oder her,  ich will mich diesbezüglich nicht rechtfertigen müssen, war klar, dass Wolfgang kein anderer sein konnte, als Brad Pitt. Eine absolute Wunschbesetzung. Wahrscheinlich Reste einer unausgelebten Jugendträumerei, die hier aus den Tiefen meiner Psyche nach oben schwabbten. Francisco wurde selbstverständlich von Javier Bardem  gespielt. Mit dem wollte ich auch immer mal drehen.

Wer denkt, Schauspieler gehörten zu der einfachen Spezies Mensch, irrt gewaltig. Schauspieler gieren nach Aufmerksamkeit, fragen, wie ihre Rolle angelegt ist, diskutieren, warum der andere Part mehr Text hat und ihr Text gestrichen wurde, warum der eine ein Wohnmobil für sich alleine hat und sie sich eines teilen müssen? Warum sie fünf Stunden in einem nicht geheizten Raum bis zur ersten Klappe warten und warum der Fahrer die bestellte Flasche nicht gebracht hat.

Natürlich hätte die Filmemacherin in mir wissen müssen, dass die Besetzung mit Prominenz zu Problemen führen würde. Von den Schwierigkeiten der Unterfinanzierung bei einem europäischen Projekt ganz zu schweigen.

Aber wer hört in der Fiktion schon auf die Realität?

„Ok“, sage ich zu Brad, der seinen Rolle als Wolfgang zu wenig aktiv und aktionreich fand. Die Maskenbildner hatten aus ihm bereits einen blonden Wikinger gemacht, auf seiner türkisfarbenen Pupille lag der sonnige Glanz mallorquinischer Buchten ( gefärbte Spezialkontaklinse!).

„Hm. Also, äh, mal sehn … wir könnten ja … „, als mich jäh ein Geistesblitz traf..

Diese äußerst willkommenen Momente geistiger Erleuchtung erscheinen grundsätzlich mitten in der Nacht, Natur gemäß ist ihr Auftritt plötzlich und unerwartet und gleicht einem Stromstoß. Die geistige Ruhe oder auch Lähmung wird von einem hochgradig energiegeladenen Gedanken abgelöst und lässt einen vor Aufregung nicht mehr weiterschlafen.

„Ok“, sage ich nun wie elektrisiert, „du darfst deinen Feind erschießen. Aber du wirst dafür zahlen.“

Brad zögert. Hinter seiner coolen Fassade steigen Zweifel wie Rauch auf. „Mein Agent hat nichts von einer solchen Szene erwähnt“, er blättert unsicher in dem Drehbuch.

„Ist in Arbeit“, nicke ich ihm zu und hetzte zum nächsten.

Merkwürdigerweise geht es in meinem Kopfkino fast zu wie in dem realen Leben, eine gewisse Parallele lässt sich nicht verleugnen. Als ich vollkommen gerädert in der Küche stehe um Frühstück vorzubereiten, kommt der Zweitgeborene herunter und guckt mich mit mitleidigem Blick an:

„Na, hast du mal wieder zu lange Fernsehen geguckt?“

Schön wär´s, denke ich, und halte mich an meinem zweiten Kaffee fest. Wie werde ich bloß diesen Tag überstehen? Der Erstgeborene erscheint wenige Minuten später. Er erkennt mit einem Blick, dass seine Lieblings-Fitness-Flakes nicht auf dem Tisch stehen und mault mich an.

Ich schließe die Augen und höre die Schlussakkorde zu „Der letzte Samurai“.

Aber dann geschieht das Unglaubliche, Berührende: Die Beiden umarmen mich und wünschen mir einen guten Tag. Die Rasselbande zieht hinaus in die Welt und ich, die schon so viel von der Welt gesehen hat, ziehe mich zurück in meine eigene. Dieses Mal bin ich diejenige, die an die Tür klopft. Mal sehen, ob meine nächtlichen Besucher schon wach sind. Doch  Francisco, Luis, Anna, Wolfgang, Mateu und Joan schlafen noch.

Es lebe die Fiktion und die Realität.

Denn die eine kann nicht ohne die andere.

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1 Kommentar

  1. Toll, und witzig gemacht.
    Habe alles gelesen, einiges verstehe ich nicht im Zusammenhang, nicht hier, aber bei dem Text Markierungen, aber es ist ja schon spät! Das Bild ist Klasse, ich bin stolz auf Dich!

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